„es [gibt] keine Möglichkeit der Kritik mehr, solange sich diese ausschließlich der Sprache bedient, vielmehr müssten Denken und Körper zueinander finden, um Widerstand leisten zu können.“

– Marie-Luise Angerer –
in Choreographie, Medien, Gender (2013), S. 79
Ausstellung und Performance in der Kammerbühne, Theater Freiburg
Vernissage: DO. 7.7.16, 19 Uhr, Kammerbühne und Passage 46, PayAfter Finissage: SO. 17.7.16, 16 Uhr, Passage 46 In der Zwischenzeit ist die Ausstellung jeweils ab einer halben Stunde vor Vorstellungsbeginn und zu den Vorstellungszeiten des Kleinen Hauses und der Kammerbühne geöffnet. Weitere Infos hier
„Hast du mich heut‘ schon gemalt?“
ist die Frage, mit der die jungen Tanzenden auf mich zu kommen. Ihre Neugierde angesichts ihres eigenen AbBildes ist größer als die Scheu vor mir.
Die Ehrfurcht, mit der sie sich dann selbst in meinen Skizzen suchen und erahnen, übertrifft weit mein eigenes Verhältnis zu den Moment-Skizzen. Es scheint, als fänden sie in den wenigen Strichen eine flüchtige Wertschätzung ihrer tanzenden Körper.

Tanz – zwischen Identität und Alterität
Um unserem verzerrten Verhältnis zu unseren Abbildern näher zu kommen, entwickelte Graham Smith und sein Team am Theater Freiburg mit 28 Kindern kurze tänzerische Soli. Diese wurden am Ende des Projekts von einer eigens entwickelten Motion-Capture-Software aufgenommen, verarbeitet und simultan zur Performance der Tanzenden in einen digitalen Avatar übersetzt, dessen Formen, Farben und Klängen an die Wand der Bühne projiziert wurden.
Die tanzende Person wird so mit ihrem eigenen verzerrten AbBild konfrontiert. Es ist ihr jedes Mald von neuem überlassen, wie intensiv sie sich auf einen Dialag mit ihrem eigenen AbBild einlässt. Sie steht immer wieder neu vor der Wahl, wie viel Mitspracherecht sie dem digitalen, entfremdeten AbBild einräumt, und wie stark sie auf ihr eigenens Körpergefühl vertrauen kann.
Von Februar bis zur Vernissage im Juli 2016 begleitete ich die 28 Kinder der Tanzgruppe „Sprossen“ zeichnerisch bei ihrem tänzerischen Entwicklungsprozess.

Der Versuch die Bewegung tanzender Körper zu Papier zu bringen, führte mich zur Reduktion der Protraits auf wenige figurative Linien.
Aus welchen und wie vielen Linien nährt sich der Wiedererkennungswert eines Portraits? Und welche Funktion übernimmt der Wiedererkennungswert für unser Selbstbild? Fragen, die im Schaffensprozess immer wieder auftauchen.
Meine Motivation, tanzende Menschen zu zeichnen, besteht darin, die Herausforderung anzunehmen, die flüchtigen, schönen Momente ihrer unendlichen Erscheinungsformen auszumachen und materiell festzuhalten. Die Schönheit auch dort wahrzunehmen, wo wir sie schnell übersehen und die Dargestellten als auch andere mit Hilfe des Mediums Papier und Tusche wortlos daran zu erinnern.

Portraitieren ist für mich ein introvertiertes Moment, in dem ich einer anderen Person von innen heraus begegne, oder zu begegnen versuche. Durch mich hindurch.
Beim Zeichenprozess wird die Bewegung vom menschlichen Auge verarbeitet und gleichzeitig durch den menschlichen Körper hindurch in eine neue Bewegung, die Bewegung der Hand auf dem Papier übersetzt. Der digitale Avatar spielt simultan zur Performance seine entscheidende Rolle: Beide können in einen tänzerischen Dialog miteinander treten. Avatar und tanzenden Person koexistieren und kommunizieren (oder auch nicht) während der Performance. Die entstandenen Skizzen hingegen entfalten vor allem nach der Performance ihre Anziehungskraft. Sie sind materialgewordenes Zeugnis des verstrichenen Moments.
In einer Welt, in der Selfies unser Selbstwertgefühl konstituieren können und welches durch diese digitalen AbBilder anderen zugänglich gemacht werden kann, laden Ausstellung und Performances ein, in einen kritischen Dialog mit unseren AbBildern und denen, die sie erschaffen, zu treten.








Von und mit: "Avatarkids" (Sprossen) Choreografisches Team: Graham Smith, Olivia Maridjan-Koop, Maria Pires, Karolin Stächele Dramaturgie: Inga Wagner Software-Programmierung & Dokumentation: Studierende der Hochschule Offenburg unter der Leitung von Prof. Daniel Fetzner und Ephraim Wegner Zeichnerische Arbeit: Annika Gemlau Beratung: Dr. med. Dr. phil. Martin Dornberg
In Kooperation mit der Vigeliusschule I, mbody e.V., Hochschule Offenburg / Fakultät Medien.
Die Veranstaltung wird gefördert von ChanceTanz, einem Projekt des Bundesverband Tanz in Schulen e.V. im Rahmen des Programms Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung des BMBF.