Nahe Blicke

Donnerstag, 26. Januar 2017
Ausstellung im Institut für Soziologie anlässlich der Institutsfeier

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

©annikagemlau2017
©annikagemlau2017

zum Konzept der Ausstellung

//„I do not intend to speak about. just speak nearby.“//

Eine Art zu sprechen, ohne Subjekte festzusetzen und mit Worten einzufangen.

Ohne auf ein Etwas zu verweisen, das vollkommen abseits meiner Sprecherposition existiert.

Eine Art zu Sprechen, in der ich mich selbst reflektiere. Und während ich mit statt über Subjekte spreche – unabhängig davon, ob sie nun anwesend oder abwesend sind –, kann ich ihnen so viel näher kommen – indem ich darauf verzichte, sie mit Worten ERFassen oder BEAnspruchen zu wollen[1].

So verstehe ich Trinh T. Minh-has Methode eines speaking nearby.

Damit ich diese Methode nicht bereits zu Beginn meiner Einführung selbst über Bord werfe, werde ich hier nicht viel zu Trinh T. Minh-ha sagen. Vielmehr möchte ich auf ihre Filme verweisen. Vor allem auf den Film Reassemblage, der bei Youtube zu finden ist.

Trinh T. Minh-has Filme bewegen sich unter anderem zwischen den Genres des ethnografischen Films und des Experimentalfilms, indem sie gleichzeitig die Begrenztheit der vermeintlich gegensätzlichen Kategorien Dokumentation und Fiktion annullieren:

//„But again, ‚artificial‘ is not opposed to ‚real‘ or ‚true,‘ – for to materialize a reality, one has to resort to the ’non-true,‘ and it is finally through the fictional – be it image or word – that truth is addressed.“[2]//

Über die Worte hinaus erkennt Susanne Klöpping in Trinh T. Minh-has Filmen eine visuelle Parallele zwischen einer voyeuristisch motivierten Pornografie und einer panoptisch motivierten Ethnografie, wie sie Chris Hansen, Catherine Needham and Bill Nichols auf den Punkt bringen:

//„sexual actors are watched, cultural actors are watched over[3]//

Sowohl der voyeuristische als auch der panoptische Blick funktionieren nicht ohne die Distanz zwischen Sehenden und Gesehenen. Die Distanz durch Worte oder durch eine Kameralinse. Ein sicherer Abstand konstituiert diese Form der Blickordnung, und gewährt uns, den Sehenden, den nötigen Schutz, damit wir uns in Ruhe ein Urteil über das Gesehene bilden können – seien es nun die Wuchten eines Krieges, die existenziellen Nöte Flüchtender oder schlichtweg die exotisierte und entzivilisierte Nacktheit nicht-europäischer Menschen. Während wir in Sicherheit die Bilder von Gewalt und Zerstörung im Internet und Fernsehen betrachten können, werden die Betroffenen meist nur in den Momenten ihrer existenziellen Not exponiert.

Aber warum werden zu diesen Bildern oft nur Zahlen, nationale oder religiöse Zuschreibungen genannt, anstelle der Namen und Geschichten der Dargestellten?

Warum werden unter Fotos von Flüchtenden aus Afrika die Zahlen der im Mittelmeer Ertrunkenen oder die aktuellen Zahlen der Asylsuchenden in der BRD genannt und nicht Gründe für diesen Weg?

Unsere Art zu blicken kollaboriert mit diesen kolonialisierenden Blickregimen, solange wir diese nicht hinterfragen und ändern. Judith Butler schrieb 2004 in Precarious Life. The Power of Mourning and Violence:

//„we have to ask about the conditions under which a grievable life is established and maintained, and through what logic of exclusion, what practice of effacement and denominalization.“[4]//

Nichtsdestotrotz liegt, so Minh-ha, die Lösung auch nicht darin, dass ich nun, im Namen eines Multikulturalismus, das Wort für jene ergreife, denen die Anhörung im Großteil öffentlicher, europäischer Diskurse verwehrt bleibt. Dies würde ebenfalls einem speaking about gleichkommen und meine Autorität als Deutsche, als Studentin, als Europäerin nur ausschmücken[5]

//„You cannot cover all areas, you can only speak in certain specific areas, but you can listen with the ears of other marginalized groups. This is for me infinitely more challenging and important than speaking for everyone or mentioning everyone at the same time.“[6]//

In diesem Sinne hoffe ich sehr, dass ihr meine Bilder, nicht primär als eine Ethnografie betrachtet. Sie allein sollen nicht ansatzweise für die Menschen eines Ortes oder einer Kultur stehen. Die sich wiederholenden Sprachen und Elemente sind vielmehr die Splitter meiner eigenen physischen oder mentalen Reisen und der Begegnungen, die dabei entstanden. Und doch entziehen sich die meisten der Geschichten der Dargestellten, ihre Herkunft, die Entstehungsorte der Bilder, die Bedeutung der Texte, die sie begleiten. Stefanie Zobel verweist in ihrer Analyse zur „Sichtbarmachung von Migration in Kunstausstellungen“ auf folgendes Konzept von Édouard Glissant:

//„Opazität, eine Trübung, mangelnde Durchsichtigkeit oder Verschwommenheit der Wahrnehmung, definiert Glissant als ein postkoloniales Anrecht gegen das westliche Paradigma der Transparenz, demzufolge die Differenz vollständig durchdrungen werden müsse, […] um sie verstehen und dadurch mit dem Anderen in Beziehung treten zu können“[7]//

Manchmal nehme ich Fotos aus Büchern, Zeitschriften oder einfach aus dem Internet als Vorlage. Am liebsten verwende ich jedoch meine eigenen Fotos oder Skizzen von den Menschen, die mich umgeben. Diese Bilder sagen also weitaus mehr über mich aus, als über die dargestellten Personen. Weitaus mehr über meinen Wunsch, ihnen näher zu kommen, sie näher kennenzulernen, indem ich mich ihnen mit Blicken annähere.

Ich ringe um eine Praxis des Schauens, die genau wie die Praxis eines speaking nearby bewusst darauf verzichtet Menschen einzufangen. Was ich mit meinen Bildern hingegen einfange, ist der Moment, meiner eigenen Suche mit den Augen, die sich Stück für Stück an einem Gesicht entlang tasten. In diesem Moment entsteht für mich eine liebevolle Beziehung zu dem, was ich sehe und male. Eine Aneignung – aber niemals eine absolute Aneignung der anderen. Vielmehr ein Bewusstmachen, eine absolute Aufmerksamkeit meines eigenen Blickes und dessen, was ihn fasziniert.

//„I come with the ideal that I would seize the unusual by catching the person unawares. There are better ways to steel, I guess, with the other’s consent. Of the seeing me labouring with the camera, women invited me to their place and asked me to film them“[8]//

Ein Balanceakt zwischen Nähe und Distanz, eine Ode an den unablässigen Versuch sich erneut annähern zu mögen. Blicke können verletzen, wie Christina von Braun in ihrem Werk Ceci n’est pas une femme deutlich macht[9].

Ich weiß. Die Gefahr, dass ich mich mit meinen Bildern schlichtweg in die kolonialisierende Bildtradition einreihe, ist groß. Und trotzdem möchte ich nicht aufhören, zu versuchen meiner Faszination an der Schönheit der Menschen auf eine behutsame Weise zu folgen. Indem ich immer wieder neu, mit Blicken und Worten, die individuellen Grenzen mit meinen Mitmenschen verhandele und diese in meinen Bildern zum Thema mache.

Aber ganz bestimmt, möchte ich nicht meine Person zum Hauptthema dieser Ausstellung machen. Vor allem sollen meine Bilder euch als Impulse der Inspiration dienen, um uns mit suchenden Blicken voller Neugierde, Mut und Fragen, denen anzunähern, die wir nicht zu kennen glauben.

Annika Gemlau
Freiburg, Januar 2017

 

[1] Vgl. Klöpping, Susanne (2004): Repräsentationen des kulturell ‚Fremden‘ zwischen Schrift und Film. Ethnographie, Visualität und die frühen Filme Trinh T. Minh-has als ästhetische Verfremdung des Wissenschaftsdiskurses, Universität Konstanz, S. 135.
[2] Minh-hà, Trinh T. / Lippit, Akira Mizuta (2001): „On Color and the Cine-eye. An interview with Trinh T. Minh-ha by Akira Mizuta Lippit*. Excerpted from: ‚When the Eye Frames Red‘ (1999)“, in: Secession (Hg.) 2001 – Trinh T. Minh-hà, S. 25.
[3] Hansen, Christian / Needham, Catherine / Nichols, Bill (1989): Skinflicks. Pornography, Ethnography, and the Discourse of Power, zitiert in: Klöpping (2004): S.148.
[4] Butler, Judith (2004): Precarious Life. The Power of Mourning and Violence, London: Verso, S.38.
[5] Vgl. Minh-hà; Trinh T. / Grižinić, Marina (2001): „An interview with Trinh T. Minh-ha by Marina Grižinić“, in: Secession (Hg.) 2001 – Trinh T. Minh-hà, S. 44.
[6] Vgl. ebd.
[7] Zobel, Stefanie (2015): „No Place – Like Homes. Sichtbarmachung von Migration in Kunstausstellungen aus Europa“, in: kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 43 (2), S. 23.
[8] Minh-hà, Trinh T. (1983): Reassemblage. From the Firelight to the Screen, min: 00:26:42-00:27:02. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=J7atQb7Z5YM, zuletzt geprüft am 20.12.2016.
[9] Vgl. von Braun, Christina (1994): „Ceci n’est pas une femme. Betrachten, Begehren, Berühren – von der Macht des Blicks“, in: Lettres International 25 (1994), S. 80., zitiert in: Klöpping (2004): S. 138.